Die Wahrheit über eine Langzeitreise

Man zeigt uns die perfekte Reise

Reisen ist Romantik. Reisen ist Erholung. Reisen ist die kurze Flucht aus dem sonst so tristen Alltag. Also ist Reisen etwas sehr positives. Azurblaues Wasser, strahlender Sonnenschein, wunderschöne Natur und nette Einheimische. So stellen wir uns Reisen vor, wenn wir Kataloge durchblättern, Instagram durchforsten oder Reiseblogs lesen. In unserem Kopf hat das Reisen ein ganz bestimmtes Bild hinterlassen, was wir uns auch durch nichts und niemanden zerstören lassen. Gerade eine Langzeitreise ist etwas, was für viele nur ein Traum bleibt und für andere eine Zeit lang der Alltag ist. Wir stellen uns diese Reise und den Ausbruch so traumhaft vor. Man ist frei, kann tun und lassen was man möchte und jedes Land dieses großen Erdballs erkunden. Man kann in Kulturen eintauchen und überall tolle Menschen kennenlernen. Doch bei all dem positiven Instagramkult und den schönen Bildern mit den weißen Stränden vergessen viele, dass eine Langzeitreise die man nicht pauschal im Reisebüro gebucht hat, an manchen Tagen auch andere Seiten hat. Ich schreibe diese Worte nicht, um mich zu beklagen, sondern um euch zu zeigen, dass eine Langzeitreise auch Alltag ist und es Momente gibt, an denen der Himmel nicht klar ist.

Die nackte Wahrheit

Während ich gerade am Flughafen in Kuala Lumpur sitze, tippe ich diese Zeilen. Ich möchte ehrlich sein und möchte euch ein wenig darüber berichten was ich selbst erlebe, was andere erlebt haben und warum man trotz aller Romantik realistisch bleiben muss. Ich bin nun seit 3 Monaten in Südostasien unterwegs. Ich hatte einen schweren Start und dann wendete sich doch alles zum Guten. Nun ist diese Reise wie eine Schule für mich geworden. Beinah täglich lerne ich neues über mich und über die Welt. Was ich mag und was nicht. Wo ich hin will und was ich hinter mir lassen möchte. Ich liebe diese Freiheit und den Gedanken nicht zu wissen, wo ich in den nächsten drei Monaten stehen werde. Nicht was einen Ort, sondern mich selbst angeht. Ich wachse und diese Entscheidung ist bereits jetzt eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Doch es gibt Dinge auf einer solchen Reise, über die manche Menschen nicht berichten wollen und gerne alles in rosarot und türkisblau darstellen. Ich berichte aber nun über die mausgrauen Momente, die eine solche Unternehmung mit sich bringt.

Krankheiten

Wir verlassen auf Reisen oft unser behütetes und organisiert-sauberes Umfeld. Am liebsten erstmal einen Direktflug auf die andere Seite der Erde. Und da stehst du nun mit deinem kleinen schrumpeligen Magen, der nach dem ersten Wasser mit Eis völlig durchdreht. Oder vielleicht ist es auch die Hitze, die dir zu schaffen macht oder dein Jetlag. Plötzlich wirst du aus den Flip-Flops gehauen. Du liegst im Bett eines Hostels und hoffst, dass der im Bett unter dir endlich aufhört zu schnarchen und du vielleicht mal den nächsten Schluck Wasser in dir behalten kannst. So ergeht es sehr vielen Reisenden. Und jedes Vermeiden von Eis oder Salat hilft manchmal garnicht. Du fühlst dich einsam, niemand kann dir eine Flasche Wasser kaufen gehen, keiner hält dir beim brechen die Haare oder kümmert sich mit ein paar lieben Worten um dich. Du bist krank und du bist alleine. Werd damit fertig! Wenn du länger unterwegs bist bilde dir nicht ein, dass du irgendwann immun bist. Selbst wenn du dich quer durch alle Streetfood Stände futterst und Eiswürfel täglich auf dem Plan stehen, bist du nicht immun. Auch dann kann es dich ereilen und wenn du Pech hast, bist du dann wieder alleine im Dorm mit lauten Zimmergenossen in brüllender Hitze. Es ist ein völlig anderes Gefühl in ein fremdes Klo brechen zu müssen. Brechreiz und Ekel wechseln sich ab. Das ist die Realität. Das gehört dazu.

Einheimische

Oft reisen wir in Länder, in denen die Menschen sehr arm sind. Entwicklungsländer. Wir bereisen die Heimat von Menschen, die um ihr Überleben kämpfen. Die von einem Tag auf den anderen versuchen ihr Leben in der Bahn zu halten. Dann taucht dort dieser Tourist auf. Ob er Geld hat? Natürlich! Denn er kann ja Reisen. Und dann kommt es sehr oft zu Situationen in denen man sich ausgenommen fühlt. In denen man nur die Milchkuh ist und das Lächeln nur aufgrund des gezückten Geldbeutels über die Lippen huscht. Das kann weh tun.

Dann muss dir bewusst sein, dass du eine Reise machst und in den Alltag dieser Menschen kommst. Keine sauber gefegte Anlage mit Pool und Cocktails. Du besucht ihr Dorf und siehst sie beim Arbeiten. Sie gehen Fischen, hinterlassen ihren Müll am Strand und haben auch schlechte Tage, wo sie nichts fangen konnten. Du wirst mit der Realität konfrontiert und nicht mit dem künstlich erschaffenen Bild. Und die Realität kann sehr fies und schmutzig sein. Also find dich damit ab, dass Menschen nicht immer nett zu dir sind. Dass Menschen über dich reden und dass Menschen dich nicht mögen. Find dich damit ab, dass es keine Angestellten in einem Resort, sondern Individuen sind, die versuchen ihr Leben täglich neu zu schaffen. Sie sind nicht alle nett, nur weil du am Horizont auftauchst. Sei nachsichtig und nimm dir nicht alles zu Herzen. Aber keine Sorge: Trittst du offen und freundlich auf, sind die meisten Menschen wirklich toll! Ein Lächeln ist die schönste Sprache.

Andere Länder, andere Sitten

Es ist spannend fremde Kulturen und weit entfernte Länder zu erkunden. Man erhascht einen neuen Einblick in Riten und Religionen. Es ist faszinierend und beeindruckend. Doch es ist nicht nur diese bunte und schöne Welt. Viele Länder haben ein anderes Verständnis für einige Sachen, wie wir es haben. Nehmen wir zum Beispiel den Müll. In Südostasien ist es an vielen Orten normal seinen Müll auf die Strasse zu werfen. Überall liegen Unmengen an Plastiktüten, Bechern und Essensresten. Beissender Geruch macht sich breit. In Flüssen oder Seen ist das baden für uns Wessis oft nicht so eine gute Idee. Ich fahre an diesen verdreckten Strassen vorbei und bin über die Mengen schockiert und darüber entsetzt, dass die Menschen sich nicht um ihre Umwelt und ihre Umgebung kümmern. Es macht mich traurig und wütend zugleich. Doch diese Menschen haben ein anderes Verständnis dafür. Sie sind so aufgewachsen. Vater und Mutter haben bereits den Hausmüll im Vorgarten entsorgt. Und so wundert es mich nicht, dass ich kleinen Kindern begegne, die auf einem Boot ihren Müll über Bord werfen. Ich kann es jedoch nicht ändern. Ich muss mich damit arrangieren und muss versuchen auf mich selbst zu achten. Meinen Müll selbst zu entsorgen und mal ein kleinen Jungen mit einem fiesen Blick zu strafen, wenn der wieder Müll auf die Strasse wirft. Mit allem anderen musst du dich abfinden. Das ist die Realität.

Wetter und mehr Unbeeinflussbares

Du wirst es nicht beeinflussen. Du kannst am schönsten Ort dieser Welt sein. Regnet es, wirst du diesen Ort vielleicht hassen. Finde dich gefälligst damit ab. Es gibt Dinge auf deiner Reise, die nicht in deiner Hand liegen. Und dann hast du die Wahl es durchzustehen und abzuwarten oder etwas zu ändern und vielleicht weiterzureisen. Wir sind immer schnell dazu verführt Orte zu verfluchen, weil gewisse Umstände dazu geführt haben, dass sie nicht mehr so aussahen, wie wir es erwartet haben. Selbst wenn wir uns vornehmen keine Erwartungen zu haben, haben wir diese doch. Und Erwartungen sind oft dazu verdammt, nicht erfüllt zu werden. Ein Ort kann auch im Regen toll sein.

Dann ist da noch die Sache mit den Verkehrsmitteln. Wir in Deutschland lieben es, wenn man sich an vorgegebene Uhrzeiten hält. Soll die Bahn um 19:32 kommen, muss es auch so sein, selbst wenn es in der Realität nicht so ist. Wir haben es gerne sortiert und organisiert. Doch zu deiner Überraschung (nicht wirklich) ist es nicht überall auf der Welt so. 12:45 Uhr bedeutet auch 13:15 Uhr. Oder man vergisst dich komplett. Sei dir bewusst, dass du von anderen und deren Uhrzeiten abhängig bist. Wozu nach 10 Minuten schon an dem Schalter fragen wo der Bus bleibt? Wenn er kommt, kommt er. Du wirst ihn nicht beschleunigen, nur weil du dich aufregst. Ich habe mal nach über einer Stunde beim Busunternehmen angerufen, weil man mich an der Tankstelle abholen wollte. Naja man hatte mich vergessen, aber es hätte nichts daran geändert, wenn ich mich aufgeregt hätte. Du musst lernen, entspannter zu sein oder deine Länder anders zu wählen.

Je nach Umstand

Wir sind menschlich. Wir haben Gefühle und diese sind je nach Umstand an einem Tag mal so und am nächsten wieder anders. Es gibt Tage, an denen wir uns fantastisch fühlen und mal nicht. Und das wird immer so sein, egal wo auf diesem Planeten du dich befindest. Sei dir dessen bewusst, dass du auch mal schlechte Tage hast. Das mal nicht alles rosig ist und das du auch mal traurig, einsam oder niedergeschlagen bist. Ob in Deutschland oder auf Bali.

Ich bin jemand, die sehr stark von ihren Gefühlen geleitet wird. Wir Frauen kennen das. Ein Einsprung kann ganze Tage völlig lahm legen. Und dann ist es ganz normal, dass das genauso passiert, wenn ich in Asien reise, wie in Deutschland auf der Couch. Das ist völlig ok. Ich kenne mich am besten. Ich weiß, dass ich mal diese Tage brauche. Mal einen Rückzugsort und einfach die Türe schließen. Dann kann die Sonne noch so schön scheinen, das Meer noch so warm sein und das Essen so gut. Dann möchte man für ein paar Stunden ins Schneckenhaus. Akzeptiere dich. Lass dich nicht zu tief hineinziehen. Aber gönne dir Momente, die nur deine sind. Nimm ein bisschen miese Laune hin. Und selbst wenn dann die Welt schreit, dass es jammern auf hohem Niveau ist… Dir soll mal einer der Kritiker erstmal nachmachen, was du da gerade tust. Das trauen sich die wenigsten. Und dann darfst du auch Tage wie diese haben.

Sorgen mitnehmen

Und wenn wir schon mal dabei sind: Deine Probleme und Sorgen lösen sich durch eine solche Reise nicht in Luft auf. Ich habe Menschen getroffen die reisen, weil sie sich in ihrer Heimat einsam fühlen. Nicht das es ein Geheimnis wäre, aber dieses Gefühl wird auf der anderen Seite der Erde auch irgendwann wieder auftauchen. Vielleicht später und vielleicht in einem anderen Gewand. Aber es gibt Dinge in deinem Kopf, mit denen du fertig werden musst und die sich nicht in Luft auflösen, nur weil du Tausende von Kilometern von deinem zu Hause entfernt bist. Leider vergessen das sehr viele Menschen. Eine solche Reise verändert dich. Sie lehrt dich sehr viel über dich selbst und sie zwingt dich, dich mit dir auseinanderzusetzen. Schleppst du aber Lasten in deinem Herzen mit, vor denen du versuchst zu flüchten, werden dich diese in den einsamen Momenten einholen und dich schlimmer treffen, als du gedacht hast.

Das hier ist keine Beschwerde

Ich möchte dir hier aufzeigen, dass wir uns heutzutage sehr von Social Media Netzwerken leiten lassen. Es ist alles perfekt auf diesen Bildern. Die Menschen lächeln und sind glücklich. Das Wetter ist perfekt, die Landschaft ist perfekt und der Filter, der dick über der Wahrheit liegt, ist es  auch. Wir neigen dazu nur das perfekte und schöne zu sehen. Wir pflanzen den Gedanken in unseren Kopf, dass eine solche Reise genauso aussehen muss. Jammern nicht erlaubt. Aber keiner schreibt in die Bildbeschreibung, dass er den Tag zuvor würgend über der Toilette hing. Es ist völlig ok. Diese Reisen und meine Reise sind besonders. Ich bin glücklich diese Chance zu haben, das alles zu erleben und die Freiheit zu spüren. Aber ich bin auch realistisch. Ich habe auch schlechte Tage und ich stehe zu diesen Tagen, denn schließlich ist das die Realität und die Wahrheit, genauso wie Wäsche waschen, Zähne putzen und Sonnenbrand. Halte dir diesen Aspekt immer vor Augen. Vielleicht bist du mal genervt oder müde vom umher reisen. Es ist dein Alltag und kein 2-wöchiger durchgeplanter Urlaub, bei dem man versucht die negativen Dinge für eine kurze Zeit unter den Teppich zu kehren. Eine solche Reise ist eine Chance, die viele Türen öffnet und ein paar hinter sich zuschlägt. Sei offen und akzeptiere dich mit deinen guten und deinen schlechten Tagen.

9 Responses

  1. 1 März 2017 at 6:42 am

    Liebe Alex, schön, dass du auch mal die sog. „Schattenseiten“ einer solchen Reise aufzeigst. Das Reisen ist, wie das Leben auch, nicht immer nur Friede Freude Eierkuchen… Ein Umstand mit dem man sich abfinden muss.
    Gerade in Zeiten allein zu sein, in denen es einem nicht gut geht bzw. krank ist, kann an den Nerven zerren. Dann sehnt man sich nach ein bißchen Aufmerksamkeit und jemanden der einen „betüddelt“. Wenn man dann allein unterwegs ist fehlt da was.
    Man muss sich auch mal klar machen, dass man in das normale Leben vor Ort eintaucht. Da sitzen nicht nur Leute die auf den nächsten Touristen gewartet haben, sondern tagtäglich um ihre Existenz kämpfen…

    Danke, dass du auch mal die andere Seite einer Reise zeigst! Viele tolle Eindrücke weiterhin :*

    • Alexandra
      Antworten
      10 März 2017 at 12:41 am

      Danke für dein Kompliment lieber Dennis. Es baut auf, wenn man nicht dafür gesteinigt wird, dass man sich nicht nur mit der Sonnenseite beschäftigt. Sonnige Grüße aus Bali

  2. 6 März 2017 at 3:39 pm

    Super Artikel! Ich selbst beginne bei Reiseberichten oft darüber zu berichten, was schief lief. Und ich habe auch eine Vermutung wieso: das Schlechte hat einen wesentlich höheren emotionalen Nachrichtenwert. „Feeling fine“ ist dagegen oft ziemlich banal.

    Oder anders formuliert: das Abenteuer hat einen Preis. Nämlich dass ich mich den Unannehmlichkeiten aussetze. Dafür erhält man aber auch unendlich viel zurück.

  3. 7 März 2017 at 6:40 am

    Hallo Alex,

    du hast einen wundervollen Artikel geschrieben, vielen Dank dafür.
    Ich kenne genau das, was du beschreibst, habe auch mal versucht meinen Lesern es an einem Beispiel zu erklären. Viele verwechseln auch Reisen mit Urlaub, für mich sind das komplett zwei unterschiedliche Dinge! Urlaub ist zur Erholung da, du schreibst ja auch treffen, dass ein zweiwöchiger Urlaub durchgeplant ist. Reisen ist ganz anders, besonders wenn man mit wenig Geld unterwegs ist. Jeden Tag muss man Entscheidungen treffen, neue Wege finden und die nächsten Tage/Wochen planen.
    Ich finde auch gut, dass du die Schattenseite wie Krank alleine beschreibst, kenne ich auch und was ist richtig klasse finde ist das: „Mit allem anderen musst du dich abfinden. Das ist die Realität.“. Was mir auch super gefallen hat, war der Absatz „Sorgen mitnehmen“; das kann ich auch nur unterstreichen, was du sagst. Ich habe einige getroffen, die vor irgendetwas weggelaufen sind und dachten es hinter sich zu lassen. Wer nicht frei von „Altlasten“ eine Langzeitreise angeht, der wird mit diesen zurückkommen und dazu noch „Neulasten“ haben.
    Ich wünsche dir noch wundervolle drei Monate und mir noch tolle drei Monate mit schönen Blogpost von dir.
    Alles Liebe
    Jens

    • Alexandra
      Antworten
      10 März 2017 at 12:44 am

      Danke dir Jens. Freut mich, dass du heraushebst, dass eine Langzeitreise auch kein Urlaub ist. Man muss wirtschaften und Wege durchdenken. Aber es macht Spaß und das ist die Hauptsache. Liebe Grüße aus Bali

  4. Jule
    Antworten
    18 März 2017 at 11:12 am

    sehr schön 🙂 du sprichst mir aus der Seele 😉
    LG

  5. Itinera magica
    Antworten
    30 März 2017 at 9:37 am

    Ich denke, du wirst nun im Wohnmobil in Europa viel glücklicher sein :-))

  6. Christiane
    Antworten
    12 Juni 2017 at 6:08 pm

    Liebe Alexandra,
    schön Dich in der virtuellen Welt entdeckt zu haben. Großartiger Bericht über die andere Seite von Reisen, die so gerne romantisiert wird. Mag ich sehr. Das ist Leben. Ying und Yang. Ebbe und Flut. Danke!

    Aloha

    Chris

    • Alexandra
      Antworten
      13 Juni 2017 at 11:11 am

      Hey Chris, mich freut es auch. Manchmal merkt man, wenn jemand gleich tickt 😛
      Danke für das Kompliment. So ist das Leben. Es kommt in Wellen und du lernst sie zu nehmen oder du gehst unter. Liebe Grüße vom Meer

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