Selbstfindung – Lächerlich?

Selbstfindung klingt verdammt esoterisch

Es gab Zeiten, da musste ich regelmässig bei dem Wort Selbstfindung lächeln. Wenn ich mitbekam, dass sich eine gestandene Frau Anfang 50 plötzlich vom Mann trennte, Haus und Hund hinter sich ließ um in die Welt hinaus zu ziehen, Yoga zu machen und sich Vegan zu ernähren. Ja ich habe das Wort „Selbstfindungstrip“ mehr als einmal genutzt. Wie kann jemand, der alles im Leben hat plötzlich diesen Schuss bekommen und abhauen. Einen auf Yogalehrerin machen und am besten noch Tantrakurse geben? Das ist doch total albern. Sie ist doch keine Anfang 20 mehr?! So dachte auch ich, als mir noch nicht klar war, was ein solcher Schritt bedeutet. Das es auch andere Arten von „Selbstfindungstrips“ gibt. Und als mir dann vor kurzem jemand noch mit dem Begriff „Eat Pay Love Emos“ um die Ecke kam, wurde mir klar, wie unreif es eigentlich war, das zu belächeln. Und wie oft heute noch Menschen Angst haben in dieser Schublade zu verschwinden und sich daher zurückhalten.

Ist Selbstfindung lächerlich? 

Der Definition nach ist Selbstfindung ein in der Pubertät beginnender Prozess, durch den ein Mensch
versucht, sich in seinen Eigenheiten und Zielen zu definieren, vor allem in Abgrenzung von der Gesellschaft und seinen Einflüssen. 

Selbstfindung ist überhaupt nicht so alternativ und lächerlich, wie es von manchen dargestellt wird. -POPDenn sind wir mal ehrlich: Wir finden uns unser ganzes Leben immer wieder neu, lernen uns kennen, uns lieben oder hassen. Wir definieren uns. In jedem Alter probieren wir was neues aus und testen unsere Grenzen aus. Ist das nicht Selbstfindung? Immer wieder uns selbst neu erfahren und sehen, wie wir in welchen Situationen reagieren. Daher ist doch Selbstfindung eine ziemlich tolle Sache. In jedem Alter, in jedem Lebensabschnitt, immer wieder neu. Es hat nicht immer diesen esoterischen Aspekt, der von möchte gern Realisten oft in der Luft zerrissen wird. Es ist ein ganz normaler Prozess, in den wir immer wieder geraten und dem wir uns, je älter wir werden gerne absichtlich aussetzen.

Selbstfindung beginnt schon in der Jugend

Als Jugendlicher waren es Drogen, Sex und das Brechen von Regeln. Nicht immer nur eine Art von Rebellion, sondern auch das Austesten, was wir davon eventuell mögen und dem wir uns intensiver widmen wollen. Als junger Erwachsener kommen dann weitere sich öffnenden Türen, die uns neue Wege aufzeigen, weil wir eventuell mehr Mittel haben. Also verlassen wir die gewohnte Umgebung, entdecken die Welt und überlegen, ob eine Familie oder die pure Freiheit etwas für uns ist. Wir suchen uns einen Beruf aus oder beginnen ein Studium, weil dies der Lauf der Dinge ist. Und dann erwartet man von uns, dass wir uns gefunden haben.

Selbstfindung – Vater, Mutter, Kind oder die Welt?

Der sichere Hafen?Doch auch als erwachsener Mensch, egal ob mit oder ohne Familie haben wir doch die Chance uns erneut selbst zu suchen und zu finden. Wir entdecken vielleicht, dass die Wahl eines Lebens als „freie Wölfin“ nichts für uns ist und wir doch ein gesetztes Leben möchten. Oder wir sind Mütter und Väter und möchten mehr vom Leben als Haus, Hund, Garten und Kinder. Und dann brechen wir aus und suchen uns selbst neu. Wir gehen auf Reisen, probieren verschiedene Drogen und verschiedene Sexpartner aus, experimentieren mit Essen und Lebensansichten. Und das alles um dann zu erfahren, dass dies das beste ist, was uns hätte passieren können oder zu merken, dass das was wir hatten, doch gut war.

Selbstfindung = Selbstneuentdeckung

So ist der Prozess unseres Lebens und aus der so sehr belächelten Selbstfindung könnte eine Selbstneuentdeckung werden? Treffen wir mit 16 die Entscheidung eine Ausbildung zu machen, heisst es doch nicht, dass dies mit 30 immer noch die richtige Wahl ist. Und dann was? Wieviele von uns bleiben darin stecken, weil sie sich nicht trauen etwas zu ändern? Mit Mitte 30 ein Studium beginnen? Alles aufgeben, was man bis heute erreicht hat, nur weil man sich selbst finden möchte? Ja verdammt! Denn schließlich bleiben dann immer noch 30 Jahre in dem Beruf. Wollen wir uns durchquälen um am Ende dann doch unglücklich im Sterbebett zu liegen? Wer das möchte: Bitte schön.

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Selbstfindung – Mein Schnitt ist extrem

Ich selbst bevorzugte es diesmal dann doch alles hinzuschmeissen um einen klaren Blick dafür zu bekommen, was dann kommen kann. Vielleicht weiß ich das schon, vielleicht habe ich eine ungefähre Richtung oder ich möchte es noch herausfinden. Aber etwas im Leben zu machen, weil ich mich mit 20 dafür entschieden habe? Damals war ich doch im Kopf ein anderer Mensch. Mit anderen Vorstellungen vom Leben, mit anderen Erwartungen. Auf der Suche nach Party und Spaß ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Blick für die Zukunft. Warum darf ich also mit Ende 30 nicht versuchen mich neu kennenzulernen und zu definieren, was ich heute mag, möchte und erwarte. Manche können es in ihrer gewohnten Umgebung, Abends nach Feierabend auf der Couch. Und manche brauchen tiefere Einschnitte. Einschnitte die von aussen aussehen mögen, wie der absolute Irrsinn und die Leichtsinnigkeit schlechthin. Aber Achtung: Intuition ist gefragt!

Selbstfindung – Du trägst die Verantwortung

Wir tragen am Ende des Tages die Verantwortung für uns, unser Leben, unser Glücksgefühl. Niemand kann uns das abnehmen, auch wenn wir es manchmal versuchen indem wir für Liebe, Gegenliebe erwarten, uns ein Haustier mit falschen Absichten zulegen oder uns etwas hübsches kaufen. Doch das alles wird es nicht besser machen, wenn wir dieses Gefühl nicht in uns tragen. Und wenn es bedeutet, dass wir Zelte abbrechen müssen um das Gefühl zu suchen, indem wir die Lautstärke unseres Umfeldes minimieren, dann ist das so. Und: Es ist völlig ok. Denn all die aufschreienden Stimmen haben doch keine Ahnung vom dem, was das beste für uns ist. Nur wir wissen es und nur wir tragen Verantwortung dafür. Es ist aber auch absolut in Ordnung sich selbst zu finden, während man weiter in seinem Zelt wohnt und der Alltag weiter so ist, wie er immer war. Selbst wenn es der immer gewollte Kunstkurs ist oder wir aus Massenkonsumenten zu Minimalisten werden. Die Form ist völlig egal. Es ist nur wichtig, dass wir genau das tun, was unser Bauch uns rät, denn sind wir mal ehrlich: Das mit kleinen Röllchen behaftete Ding, hat verdammt oft Recht.

You'realwayswith me

Auch die schlechten Entscheidungen gehören zur Selbstfindung 

Ich sitze im Bus in Vietnam, während ich darüber nachdenke, wie es weitergehen soll. Was ich nun mit diesem Trampelpfad mache, den ich begonnen habe. Der lebensmüde Busfahrer prescht durch die Berge und über staubige Strassen, während die Akustikversion von „Bad Ideas“ von „Alle Farben“ in meinen Kopfhörern ertönt. Denn Selbstfindung ist auch das: Mal schlechte Entscheidungen treffen und daraus lernen. Und am Ende sind sie doch super Erinnerungen. Wohin diese Reise führt? Das weiß ich nicht und wie lange sie geht? Auch das ist nichts, was ich geplant habe. Ob es ein Selbstfindungtrip ist? Vielleicht! Na und? Ich bin glücklich, dass ich diese Entscheidung getroffen habe, denn nur so lerne ich mich neu kennen. Abseits aller Erwartungen und Forderungen. Über die Jahre habe ich wirklich gut gelernt mich immer wieder neu zu entdecken. Darauf zu achten was mir gefällt und was für mich nicht in Frage kommt. Doch nun bin ich auf einer Reise ohne Ziel und habe nur die Erwartung, keine Erwartung zu haben. Ich habe bereits jetzt erste Entscheidungen getroffen, die sich verdammt richtig anfühlen. Auch Entscheidungen die meine Zukunft betreffen werden. Vielleicht erkenne ich demnächst aber auch, dass mein Leben so wie es bisher war, gut war. Oder ich entdecke, dass mein Leben nun anders verlaufen muss. Aber egal was passiert: Niemand nimmt mir meine Entscheidung ab. Also Augen zu und ins kalte Wasser springen. Der Busfahrer wird mich schon irgendwie durch die Serpentinen bringen.

Selbstfindung – Sei stolz dich immer wieder neu kennenlernen zu dürfen!

Lass sie lachenAlso ihr Zweifler und Lacher da draussen, die Selbstfindung ins Lächerliche ziehen und Menschen kritisieren, die extreme Einschnitte vornehmen auf der Suche nach dem „Mehr“ oder dem „Anders“: Ihr könnt uns mal. Wir stecken wenigstens nicht immer noch in unseren Schuhen, die wir bereits mit 22 getragen haben. Wir geben uns kreativen Raum für ein Leben, dass wir selbst bestimmen. Und wenn das bedeutet, uns jeden Tag neu zu finden, dann ist es so und das geht niemanden etwas an. Denn niemand von euch steht an unserem Sterbebett während wir uns selbst bemitleiden nicht das volle Potenzial unseres kurzen Lebens ausgeschöpft zu haben. Und genauso wenig werden wir am Ende neben euch stehen und euch predigen, dass ihr hättet mehr von diesem Leben haben können. Und dieses „Mehr“ heisst nicht, mit dem nicht zufrieden zu sein, was man hat, sondern eventuell die Situation zu verändern um aus dem was man hat mehr schöpfen zu können. Und an euch, die ihr euch selbst sucht: Weiter so. Nur ihr könnt entscheiden, was für euch gut ist und wohin euer Leben führen soll. Am Ende gibt es vermutlich nichts schlimmeres, als zu bereuen, etwas nicht versucht zu haben.

Cheers mates! Auf die Selbstneuentdeckung. Ich freue mich drauf euch täglich neu kennenlernen zu dürfen!

2 Responses

  1. Caro
    Antworten
    11 Januar 2017 at 6:48 pm

    Liebe Alex,
    da hast du wieder einen sehr schönen Text geschrieben 🙂
    Ich weiß gut, was du meinst… Musste bei den ersten Zeilen sehr schmunzeln, denn genau so habe ich früher auch gedacht! Ich meine, okay, manchmal kommen mir solche Gedanken immer noch, wenn alle auf einmal Yogalehrer werden oder Schweigewochen in der Wüste veranstalten…
    Aber auch wenn mir das oft komisch vorkommt, ist es ein großer Unterschied zu früher. Seitdem ich nämlich selbst eingesehen habe, dass meine Selbstfindung beim besten Willen noch nicht abgeschlossen ist, sehe ich das nämlich auch bei anderen Menschen viel lockerer: Jeder eben so, wie er möchte 🙂
    Schöne Grüße und alles Gute für dich,
    Caro

    • Alexandra
      Antworten
      26 Januar 2017 at 8:13 am

      Danke liebe Karo 🙂 Genauso sehe ich es auch! Jeder wie er mag!! Wir haben alle nicht das Recht über andere zu urteilen oder zu lachen. Wir finden uns selbst ständig neu. Wer weiß ob wir nicht mal selbst als Yogalehrerinnen enden 😉 Liebe Grüße

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